60. Jahrestag der Befreiung

Vorwort


English Version

Unsere Heimatstadt St. Vith, die in Urkunden der Abtei Stavelot-Malmedy aus dem Jahre 1130/31 erstmals neben anderen Ortschaften als Kirchenstandort erwähnt wurde, kann auf eine lange wechselvolle Geschichte zurückblicken. Es ist die Geschichte einer Grenzstadt, deren Schicksal von den jeweiligen politischen Ambitionen in Westeuropa abhängig war, und deren Machthaber über Krieg oder Frieden entschieden. Dabei haben die Bewohner immer wieder nach Zeiten der Verwüstung und Zerstörung die Kraft zu neuen Anfängen und zum Wiederaufbau gefunden. Auf Grund ihrer bitteren Erfahrungen und dem mehrfach aufgezwungenem Wechsel der Nationalität in den vergangenen Jahrhunderten bringen sie allen Neuerungen und auch der Politik eine gesunde Portion Misstrauen entgegen.



Die Kriegsereignisse im Sankt Vither Land

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 10. Mai 1940 wurden durch Führererlass vom 18. Mai 1940 die Gebiete Eupen, Malmedy und St. Vith dem Deutschen Reich wieder einverleibt. In der Folge wurden tausende Männer als Zwangssoldaten in die deutsche Wehrmacht eingezogen und mussten oft ihr Leben auf den weiten Schlachtfeldern Europas opfern. Manche entzogen sich dem Dienst bei den deutschen Truppen, indem sie in Altbelgien untertauchten.

Diese jungen Männer riskierten auch ihr Leben, denn sie wurden bei einer Entdeckung standrechtlich erschossen. Aber auch die Eltern und Angehörigen dieser Dienstverweigerer waren oft schweren Repressalien ausgesetzt. Man entzog ihnen die Lebensmittelkarten, man beschlagnahmte das Radiogerät, diese Leute mussten manche Kontrollen und Willkür über sich ergehen lassen, obschon sie unschuldig waren. Oft erst nach langer Zeit und auf vielen Umwegen erfuhren sie, dass ihr Sohn heil die Grenze passiert hatte und gesund war.

Als nach dem Fall von Stalingrad die große Wende im Osten einsetzte, war mancher Landser aus dem Gebiet von Sankt Vith entschlossen, den sinnlosen Kampf einzustellen und benutzte den Heimaturlaub, um sich nach Belgien abzusetzen. Dies war aber nur möglich wenn man Bekannte oder Verwandte dort hatte, die bereit waren ein sicheres Versteck zu gewähren.

Anfang September 1944 verdichteten sich die Meldungen, dass sich die Amerikaner von Frankreich kommend auf dem schnellen Vormarsch zum Westwall befänden und dabei natürlich St. Vith erobern würden. Von morgens früh bis zum Einbruch der Dunkelheit überflogen amerikanische Tiefflieger das Gelände, und in der Nacht dröhnten die Motoren der amerikanischen und englischen Bomberstaffeln, die Tod und Vernichtung ins Deutsche Reich trugen.

An den Flakgeschützen, die diese Bomber bekämpften, standen Nacht für Nacht 15 und 16 jährige Jungs auch aus unseren Orten, fast noch Kinder die man von der Schulbank und ihren Eltern weggenommen hatte und die verzweifelt nach ihrer Mutter schrieen wenn sie verwundet wurden. Die Menschen im Sankt Vither Raum wussten, dass nach der Eroberung der Heimat der Kontakt zu den an der Front kämpfenden Männern und Söhnen nicht mehr möglich war.

Am 4 September kam der Befehl zur Evakuierung von St. Vith, die Bevölkerung musste die Stadt mit ihren Habseligkeiten und dem Vieh in Richtung Deutschland verlassen. Am Abend des 4. September 1944 setzte sich der große Treck in Bewegung, der die St. Vither bis in die Nähe von Kassel nach Dransfeld führen sollte. Aber nur ein Teil der Bevölkerung hatte dem Evakuierungsbefehl Folge geleistet, die anderen harrten in der Stadt aus und warteten auf die heranrückenden Amerikaner die St. Vith am 13. September kampflos einnahmen. Sie waren verwundert, dass ihnen die Bevölkerung nicht zujubelte, aber die Menschen waren verschreckt und hatten Angst, denn die Nazi Propaganda hatte die amerikanischen Soldaten und vor allem die farbigen G.I.'s als wahre Monster angekündigt.

Während die Alliierten weiterhin die Festung Deutschland von allen Seiten angriffen, herrschte in St. Vith für einige Monate relative Ruhe, bis am 16. Dezember die "Von Rundstedt Offensive" begann. Auf einer Frontlänge von 150 Km startete die Wehrmacht ihren letzten verzweifelten Angriff, um doch noch eine Wende im längst verlorenen Krieg herbei zu führen. Das strategische Ziel des deutschen Angriffes war Antwerpen, um die Nachschubwege der Alliierten Truppen zu unterbinden.



Laut Angriffsplan vom kommandierenden General der 5. Panzerarmee, Hasso von Manteuffel, sollte St. Vith spätestens am 17. Dez. um 18.00 Uhr in deutscher Hand sein. Dieser Zeitplan konnte nicht einmal annähernd eingehalten werden, denn die Stadt wurde von der 2. US-Infanterie-Division unter General Bruce C. Clarke bis zum 22. Dez. heldenhaft verteidigt.

Die Entscheidung der Amerikaner St. Vith mit allen Mitteln zu verteidigen bedeutete das Scheitern der deutschen Offensive. Nachdem sich die US Armee aus St. Vith zurückgezogen hatte, beschloss man, diesen wichtigen Verkehrsknotenpunkt zu bombardieren um den deutschen Nachschub zu blockieren. Dies bedeutete das Todesurteil für die kleine Stadt, die am 25. und 26. Dez massiv bombardiert und ausgelöscht wurde.

Die Anzahl der getöteten Soldaten und Zivilisten wird wohl niemals ermittelt werden, aber allein in der zerstörten Klosterkirche fanden über 300 Menschen den Tod. Zwanzig Jahre später erzählte mir meine Tante Anna Krings, wie sie mit ihrer Tochter die sie am 25. Dez. im St. Vither Krankenhaus zur Welt gebracht hatte, von dem Bombardement im Wochenbett überrascht wurde und sich mit dem Säugling im Arm, am 26. Dez. aus dem Flammeninferno retten konnte. Sie brauchte die ganze Nacht um das brennende St. Vith zu umgehen und sich zu ihrem Elternhaus nach Hünningen durchzuschlagen.

Viele Leichen konnten erst nach der Schneeschmelze im Frühling geborgen werden. Nur wenige Häuser hatten die Katastrophe überstanden. Erst ab 1947 wurde mit dem Wiederaufbau begonnen, der mehr als 20 Jahre andauern sollte.



Die Schlacht um St. Vith hat den Ausgang der Ardenneschlacht entscheidend beeinflusst. Indem die deutschen Truppen 4 entscheidende Tage am Vormarsch gehindert werden konnten, wurde diese Stadt für die Wehrmacht zur strategischen Falle. Dies ist jedenfalls die Meinung von Experten, auch wenn im Nachhinein der Kampf um Bastogne als wesentlich spektakulärer und kriegsentscheidender herausgestellt wurde.

Heute erinnern noch Denkmäler und Gräber an die dramatischen Ereignisse der Jahreswende 1944-45, denen wir in diesem Jahr zum 60. Male gedenken, in der Hoffnung, dass sie sich nie wiederholen werden.

Sehr oft besuchen amerikanische Veteranen mit ihren Angehörigen und Freunden die historischen Schlachtfelder und die Gedenkstätten ihrer gefallenen Kameraden. So besuchte im Sommer 2001 Billy Irons, Sioux Indianer unsere Stadt, der als freiwilliger GI an den Kämpfen in St. Vith teilnahm. Damals fand er in der zerstörten Katharinenkirche ein kleines Kreuz, das er als Talisman an sich nahm. Dieses Kreuz brachte er nun zurück und ich konnte es einrichten, dass Billy dem Pfarrer Jean Pohlen dieses Kreuz im Anschluss an die Sonntagsmesse unter dem Beifall der Gläubigen übergab. Diese wunderbare Geschichte erklärt wie nach 57 Jahren dieses Kreuz an seinen alten Standort zurückfand.




Quellen:
- St. Vith im Schatten des Endsiegs, von Kurt Fagnoul
- Eine kleine Stadt vor der großen Katastrophe, von J. Dries, HG. Jacobs und W. Langer
- Kriegsschicksale 1944/45 (Herausgeber: Geschichtsverein "ZVS")