Im Abschied ist die Geburt der Erinnerung. (Salvador Dalí)
In den Vormittagsstunden des 19. Oktober 2012 verstarb unser Ehrenpräsident und Freund Hubert Jenniges im Alter von 77 Jahren. Mit Bestürzung, Trauer, Fassungslosigkeit und Schmerz sind wir gezwungen Abschied zu nehmen von einem Mann, der unseren Geschichtsverein seit seiner Gründung 1965 in maßgeblicher Weise als Takt- und Impulsgeber geprägt hat, als Autor und Vortragsredner unendlich bereichert hat und als weiser Ratgeber und Visionär bis heute begleitet hat.
Mit Herzblut ging er zu Werke, mit Sach- und Fachverstand vermochte er zu überzeugen und zu begeistern und mit Humor und Esprit gewann er die Sympathien. Der Verlust eines solchen Menschen reißt eine Lücke, die uns zunächst nur sprachlos und traurig hinterlässt.
Hubert Jenniges, ein Sohn des Manderfelder Landes, erblickte im Dezember 1934 das Licht der Welt. In seiner Kindheit in dem Weiler Afst – einem Ort, der trotz bewegender Weltereignisse nach eigenem Bekunden Sicherheit, Friede, Zuversicht und Lust zum Verweilen vermittelte – finden sich erste Ansätze geschichtlichen Gespürs und Forscherdrangs. Die Familiengeschichte entdecken und dabei auch zeit- und regionalgeschichtliche Zusammenhänge ergründen – dies waren die ersten Früchte einer beginnenden Leidenschaft. Die heimischen Sagen und Überlieferungen fesselten den Jungen, genau so wie unergründliche Ortsnamen oder gotische Kirchenbauten. Aber auch die Ereignisse der Vorkriegs- und Kriegszeit – pro-belgische und pro-deutsche Manifestationen in der Familie, der deutsche Einmarsch 1940, die Schulzeit, die Grenznähe, die Zerstörung des Elternhauses – haben den wachen Geist des Knaben geformt und schärften den späteren Blick für geschichtliche und politische Zusammenhänge. Seine erste Berührung mit der romanischen Kultur im Rahmen seiner Sekundarschulzeit in Herve hat, trotz anfänglicher Irritationen, die Basis zu seinem Universitätsstudium der Romanistik und Geschichte, aber auch zu einer gefestigten sprachlich-politischen Identität gelegt, die sich in den 1960er Jahren u.a. im Engagement zur Gründung unseres Vereins offenbarte. Die Idee hierzu ging übrigens von Hubert Jenniges selbst aus, der diese mit ebenso motivierten Gleichgesinnten in die Tat umsetzte. Nicht kämpferisch-revolutionär, sondern beharrlich, humorvoll und beseelt von gesunder Heimatverbundenheit und geschichtlichem Bewusstsein machte man sich ans Werk. Der Erfolg beflügelte den Aufbruch und spornte zum Weitermachen an; der Impuls fiel auf fruchtbaren Boden und trug Früchte und wirkte nachhaltig für die Selbstfindung und das Selbstbewusstsein unserer Menschen.
Diese Früchte zeigten sich nicht nur in den Beiträgen unserer Monatszeitschrift, von denen Hubert Jenniges alleine fast 400 verfasst hat, sondern auch in vielen Ortschroniken, die unter seiner Mitwirkung entstanden sind. Zudem veröffentlichte er einige Monografien, wie z.B. zu archäologischen Funden in unserem Gebiet, zur karolingischen Vergangenheit seiner Heimat, zur Geschichte alter Pfarrorte, zu den Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges in unserem Landstrich, zu Hintergründen und Auswirkungen der Eifeler Auswanderung nach Amerika oder zur Autonomie des deutschen Sprachgebietes. Die von ihm aufgegriffenen Themen waren vielfältig und deckten ein breites Spektrum Eifeler Geschichte ab, das von der Römerzeit über das Mittelalter bis in die jüngere Geschichte reicht. Auf solide Quellen gestützt, mit profundem Geschichtswissen versehen und in einem elegant lesbaren Stil verfasst sind seine Veröffentlichungen ein Genuss und eine immense Bereicherung für jeden an regional-geschichtlichen Themen Interessierten. Doch nicht nur seine journalistischen Fähigkeiten in Form von Recherche, Analyse und Formulierung kamen bei seinen Veröffentlichungen zum Tragen, sondern auch sein begnadetes Rednertalent, das er in regelmäßigen Hörfunksendungen oder unzähligen Vorträgen unter Beweis stellte und das Publikum anzog, wie dies u.a. bei der alljährlichen ZVS-Jahreshauptversammlung der Fall war.
Sein stilles Wirken war ansteckend, sein Hintergrundwissen schier unerschöpflich, seine Beobachtungsgabe und seine Einschätzungen treffsicher und sein Humor geistreich. Diese Eigenheiten machten ihn zu einem gefragten Ratgeber – in politischen Kreisen, aber auch in unserem Verein. Als sein geistiger Vater hat er dessen Werdegang stets aufmerksam und tatkräftig begleitet, maßgebliche Impulse gesetzt und Weichenstellungen initiiert. Das Heckingschild, eine Auszeichnung mit überregionaler Ausstrahlungskraft, geht auf seine Anregung zurück; die Verjüngung des Vereinsvorstandes nach 30 Jahren, die Neugestaltung der Vereinszeitschrift oder die Reform der Vereinsstruktur tragen im Wesentlichen seine Handschrift. Den Blick über den Tellerrand des Alltagsgeschehens gerichtet und in längerfristigen Perspektiven denkend, jedoch immer an den realen Gegebenheiten orientiert, erschien er als Visionär und Gestalter.
Seine Verbundenheit zum St.Vither Land, die sich in seinem letzten Wunsch ausdrückte, hier beerdigt zu werden, hat er stets hervorgehoben: „St.Vith und dieses schöne Land gehören zu meinem kulturellen Anteil, zu meinem Erbe.“, sagte er vor 20 Jahren anlässlich einer Ehrung. Das St.Vither Land und die Eifel hat er reich beschenkt und die Menschen hier sind ihm dafür sehr dankbar und wissen sein Erbe wohl zu schätzen.
Die heute in der Verantwortung stehenden Vereinsmitglieder des Geschichtsvereins sind sich dieses Vermächtnisses ebenfalls bewusst. Bei aller Trauer um unseren Ehrenpräsidenten sind wir dankbar, mit ihm jahrlang auf dem gemeinsamen Weg unterwegs gewesen zu sein, auf dem er sein reichhaltiges Wissen und seine Erfahrung mit uns teilte und auf dem uns seine Freundschaft stets gewiss war. Dies alles wird uns davor bewahren, ihn je zu vergessen, sondern ihn in unserer Erinnerung und in unserem Herzen lebendig zu halten.
Mit seiner lieben Frau Mieke, seinen Kindern und seiner ganzen Familie sind wir in diesen Stunden des Abschieds in der Trauer um einen wunderbaren Menschen verbunden. Möge Hubert in Frieden ruhen.
K.D. Klauser
Vorsitzender