Hubert Jenniges: Heimatgeschichte über die Grenzen hinweg

Abgelegt in Heckingschild

Geschrieben am 12.11.2011

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Laudatio für Hans-Josef Schad anlässlich der Verleihung des Heckingschildes durch den Geschichts –und Museumsverein “Zwischen Venn und Schneifel”  am 12. April 2008 im Rathaus der Stadt St.Vith
Werter Herr Schad, sehr geehrte Frau Schad,
meine Damen und Herren,

Es geschah zu Beginn des Jahres 1967. Da traf bei der Schriftleitung der Zeitschrift “Zwischen Venn und Schneifel” in St.Vith ein dicker Briefumschlag ein, der von den Herausgebern erwartungsvoll entgegengenommen wurde. Verständlicherweise! War man ja in diesen Anfangsjahren des Geschichtsvereins auf der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern, um neue Themen und neue Ideen in die junge Monats-Schrift einflieβen zu lassen, die -damals wie heute- mit anspruchsvoller Regionalgeschichte aufwarten wollte.
Der Brief war in Auw (damals Kreis Prüm) abgestempelt. Er enthielt einen Artikel aus der Feder von Hauptlehrer Hans-Josef Schad mit dem Titel “Waren die ersten Siedler zwischen Ommerscheid und Schneifel Sachsen?”
In dem Beitrag ging der Autor auf die “Sachsentheorie” ein, jene im 19. Jahrhundert, auch von Dr. Anton Hecking bemühte Hypothese, wonach Teile der Westeifel -auf Grund sprachlicher Elemente und des überlieferten Stockerbenrechts- von aufmüpfigen Sachsen besiedelt worden seien, die Karl der Groβe kurz nach dem Jahre 800 in die unwirtlichen Gefilde von Venn und Schneifel zwangsdeportiert haben soll.
Kritisch wurde der Beitrag von der ZVS-Redaktion unter die Lupe genommen – nicht deshalb, weil man keine Nachfahren sächsischer Sträflinge sein wollte – nein, die historische Essenz wurde überprüft. Dann kam das Urteil des Altmeisters unseres Geschichtsvereins, Dr. Bernhard Willems: “Dieser Mann aus Auw”, so meinte er, der gerne lateinische Ausdrücke in seine Rede einflieβen lieβ, “dieser Mann ist ein ‘corvus albus’, ein weiβer Rabe; den müssen wir uns warm halten”.
Wir haben den Rat von Dr. Willems befolgt; denn zwischen der ZVS-Redaktion und dem “corvus albus” aus Auw entwickelte sich eine freundschaftliche, erfrischende und immer wieder fruchtbare Zusammenarbeit, die ihren Niederschlag in einer Fülle regional –und kulturgeschichtlicher Beiträge und Studien fand. So erschienen seit dieser ersten Kontaktnahme 1967 bis zum heutigen Tag in den Monatsblättern “Zwischen Venn und Schneifel” über 60 Beiträge von Hans-Josef Schad; davon viele gemeinsam mit seiner Gattin Gisela. Beide, Hans-Josef Schad und Frau Gisela, bilden ein Tandem. Ein Tandem ist ein Zweiergefährt, das leider stets mehr und mehr verschwindet – und dies nicht nur aus unserem Straβenbild.

Hans-Josef Schad, den wir heute ehren, stammt nicht aus unserer Grenzregion. Geboren wurde er 1935 in Roxheim (Kreis Kreuznach), wo er die Volksschule mit kriegsbedingten Unterbrechungen besuchte. Schad gehört also einer Generation an, die damals noch zu jung war, um die Hintergründe der Kriegsereignisse begreifend einzuordnen, aber alt genug, um die Dramatik derselben  aufzunehmen, die Gefahren dieser schlimmen Zeit wahrzunehmen und Ereignisse mitzuerleben, schöne und weniger schöne, die bleibende Eindrücke hinterlassen haben.
Die späteren Bildungsstationen von Hans-Josef Schad führten über das Bischöfliche Konvikt und das altsprachliche Gymnasium in Linz am Rhein, und nach seinem Abitur in Münstermaifeld, an die Pädagogische Akademie in Trier, wo er 1958 sein Lehrerdiplom erhielt.

Das Land zwischen Venn und Schneifel hatte Hans-Josef Schad erst im Oktober 1959 kennen gelernt, als er das Lehreramt in Auw antrat, wohin er auf eigenen Antrag versetzt worden war. Dieses Land wurde ihm und seiner Gattin Gisela Stephany, gleichfalls Pädagogin, recht schnell zur zweiten Heimat und zum Gegenstand emsiger Forschungen. Als Schulleiter in Auw amtierte er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2000.
A propos Stephany: Bei Frau Schads Familiennamen wird jeder Kenner des Regionalgeschehens hellhörig. Da gab es doch den bereits legendarischen Aachener Domkapitular und Domkustos, Prof. Dr. Erich Stephany, ein Experte auf dem Gebiet der christlichen Kunst. Er war ein Onkel von Frau Gisela Schad-Stephany.

Der neue Heckingschild-Träger veröffentlichte -auβer in der ZVS-Monatsschrift- auch in den bekannten Publikationsträgern des Prümer Landes, der Eifel und der Region Rhein-Mosel-Maas: in verschiedenen Sammelwerken, in der Monatszeitschrift “Prümer Land”, in deren Erscheinungszeit von 1971 bis 1986; im “Prümer Landboten”, der Zeitschrift des Prümer Geschichtsvereins; im Eifelvereinsblatt, im “Eifeljahrbuch” sowie in den Jahrbüchern der Kreise Prüm (später Bitburg-Prüm) und Daun (ab 2007 Landkreis Vulkaneifel). Auch in der Tagespresse “Trierische Landeszeitung” und “Trierischer Volksfreund” finden wir wiederholt seinen Namen unter historischen, kulturellen und touristischen Beiträgen. Hinzu kommen mehrere Festschriften und Sonderbeiträge, die alle in der geschichtlichen und kulturellen Architektur unseres Gebietes wertvolle Bausteine darstellen. Das Gesamtwerk von Hans-Josef Schad dürfte die stolze Zahl von über 220 Titeln erreichen, darunter -wie bereits erwähnt- rund 60 ZVS-Beiträge.

Die “Forschungsheimat” des neuen Heckingschildträgers ist das Rhein-Mosel-Maas-Gebiet; in der Zusammenziehung dieser Eckpunkte ist es der engere Raum an den Hängen von Venn und Schneifel und hier ganz besonders die Schneifel an ihrer sensibelsten Nahtstelle, das deutsch-belgische Grenzland am Oberlauf der Our.
In Schads Forschungsarbeit wird nicht nur mit alten vorgefassten Meinungen, wie mit der umstrittenen “Sachsenbesiedlung” aufgeräumt, da erscheinen immer wieder neue, originelle Erkenntnisse, mit einer soliden Beweisführung ausgestattet, wie die Lokalisierung frühgenannter Grenzpunkte auf der Schneifelhöhe, die Bearbeitung der Weistümer und das Fortleben alter Rechtsgewohnheiten, die Pilgerwege und die faszinierende Ausstrahlung der Pilgerorte, die historische Leistung des Königshofes Manderfeld, wertvolle Erkenntnisse zur Entstehung unserer Orte – um nur einige der behandelten Themen zu nennen. Nicht zu vergessen: Eine gründliche “Ostbelgienkunde”, erschienen unter diesem Titel im “Prümer Land” 1979! Und dann immer wieder die Grenzlandproblematik – ein tagtäglich hautnah erlebtes Phänomen in der Grenzortschaft Auw, dem wir gleich noch eingehender unsere Aufmerksamkeit widmen wollen.
Aus diesem Gesamtüberblick stechen zwei Publikationen ganz besonders hervor: Die eine ist zwar weniger bekannt, inhaltlich aber umso reichhaltiger – ich nenne sie mal das “Schad´sche Frühwerk”. Es sind die “Auwer Heimatkundlichen Hefte”.
Die andere Veröffentlichung aus Schads Feder wurde zu einem “regionalgeschichtlichen Bestseller”: Es ist eine Studie über den Hexenpastor Michael Campensis, jenen Pfarrer in Auw, der im Frühjahr 1630 wegen “Teufelsbündelei”als Hexenmeister auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Das “Frühwerk”, die “Auwer Heimatkundlichen Hefte”, ist heute auf dem heimatgeschichtlichen Büchermarkt äuβerst selten geworden. Es ist eine mit einer Vervielfältigungsmaschine hergestellte Schriftenreihe, die 1965 erstmals den Weg in die Öffentlichkeit antrat, wobei jedes Heft ein an sich abgeschlossenes Thema behandelte. 16 Hefte umfasst dieses “Frühwerk”, das inhaltlich von der Prähistorie bis zu den Schmugglergeschichten der Nachkriegszeit und zu einer kritischen Dokumentation des Nationalsozialismus in den Schneifelorten reicht und eine Fülle regionalgeschichtlicher Fakten in ansprechender und allgemein verständlicher Weise vermittelt.
Die Geschichte des Hexenpastors Michael Campensis -sie erschien 1978 als Nr. 9 der Schriftenreihe “Zwischen Venn und Schneifel”- kann, wie bereits angedeutet, als der spektakulärste Forschungsertrag von Hans-Josef Schad angesehen werden. Es ist der mit kriminalistischem Spürsinn aufgearbeitete Fall eines Pfarrers, der in der Zeit des Hexenwahns im Frühjahr 1630, nach einer über 30jährigen Tätigkeit in Auw auf dem Scheiterhaufen enden musste. Es ist eine ungeheuerliche Geschichte, die sich in diesem stillen Eifeldorf vor 380 Jahren abgespielt hat; ein Ereignis, das die späteren Generationen geprägt hat, was diese jedoch nicht wahrhaben wollten. Der Name Campensis wurde nämlich systematisch aus den Akten getilgt. Ihn durfte es einfach nicht gegeben haben.
Hans-Josef Schad zerpflückt den Verdrängungsprozess, er zerfetzt den Schleier der um den Fall gelegten Geheimnistuerei, er entlarvt die Methoden offiziell gesteuerter Vorverurteilungen. Ihm gelingt es, längst verwischte Spuren zu sichern, und schlieβlich einen Mann zu rehabilitieren, der das unschuldige Opfer einer Zeit höchster geistiger Verwirrung geworden ist.
Es ist nicht nur eine intellektuelle Rehabilitierung, sondern auch eine materiell sichtbare Wiedergutmachung, denn auf Initiative von Hans-Josef Schad und seiner Gattin wurde unweit der Hinrichtungsstätte “Auf dem Radsberg” bei Auw ein Gedenkkreuz für Michael Campensis errichtet.

Wenn wir das heimatgeschichtliche Werk von Hans-Josef Schad überblicken, so ergibt sich eine Würdigung auf dreifacher Ebene:
Erstens: Seine Veröffentlichungen stellen eine substanzielle Aufwertung der Regionalgeschichte dar; zweitens: erhöhen sie den Stellenwert des Begriffs Heimat; und drittens analysieren sie die Grenzlandproblematik emotions-und  komplexfrei.

Zunächst die Aufwertung der Regionalgeschichte:
Hans-Josef Schad versteht es, in anschaulicher Weise die behandelten Ereignisse in ihren historischen Zusammenhang zu setzen. Da passt alles ineinander. Da wird Geschichte zum Erlebnis. Er vermittelt uns die für manchen unerahnte Gabe, über das Vergangene zu staunen. Wir brauchen das Staunen seit der frühesten Kindheit als Ansatz unserer Bewusstseinsbildung und folglich unseres Wissens. Wir brauchen ständig in unserem Leben das Staunen und die Neugier: in der Begegnung mit dem Neuen….. und mit der Vergangenheit, die ja auch immer wieder neu ist.
In seinen heimatgeschichtlichen Recherchen geht Hans-Josef Schad allen Spuren nach, um ein korrektes Bild zu erhalten, das dem Geschehenen möglichst entspricht. Jeder Hinweis wird, wie bei der Kripo, genauestens überprüft, gegengeprüft und abgewogen. Hans-Josef Schad und seine Frau – das ist, man gestatte mir den Vergleich, die “Soko” der Eifelgeschichte. Schließlich wird überlegt, ob der historische Befund noch in unsere Zeit hineinwirkt. Oder anders formuliert: Welche Spuren erinnern heute noch an die früheren Geschehnisse? In der Literatur beispielsweise, in den Archiven, im noch lebendigen Sagengut, in den Haus- und Flurnamen oder im  bestehenden Brauchtum?
Wenn “Geschichte schreiben” heiβt, Fakten und Jahreszahlen eine Physiognomie zu geben, sie lesbar zu machen, sie den Zeitgenossen lebhaft zu vermitteln, dann geschieht dies in ansprechender Weise bei Hans-Josef Schad.
Es ist stets die ehrliche Suche nach einem Teil der Wahrheit; denn die volle Wahrheit gehört uns bekanntlich nicht; sie liegt jenseits unseres Begreifens und unseres Seins.
Zahlreiche Fakten hat Hans-Josef Schad so der Vergessenheit entrissen, in unseren Erinnerungsstand zurückgebracht und ihnen einen weiteren Bestand gesichert – ich denke an das tragische Schicksal des Michael Campensis. Ich verweise auch auf die spannende Suche nach dem bereits im Jahre 816 genannten Grenzpunkt “Buocha” auf der Schneifelhöhe, bei dessen Lokalisierung der in ferner Erinnerung schlummernde Hinweis eines alten Schreinermeisters aus Schlausenbach den Heimatkundler Hans-Josef Schad auf die richtige Fährte setzte.
Die Vergangenheit wird somit wieder greifbar. Das ist ein wesentliches Element! Denn das Geschehene, das vergessen ist, das keine materiellen Spuren hinterlassen hat und auch in der kollektiven Erinnerung nicht mehr präsent ist, hat nicht stattgefunden. Es hat in unserem historischen Verständnis nicht existiert, weil es geschichtslos geworden ist. Das wohl Schlimmste, das einem Gedächtnis passieren kann, ist das Vergessen. Das gilt auch für das kollektive Gedächtnis. Tritt dieser Erinnerungsschwund ein, dann kommt es anfänglich bestenfalls noch zu verschwommenen “Nachträgen”, zu unkontrollierbaren Überlieferungen, zu dunklen Tradierungen, zu Sagen und Legenden, die gegebenenfalls noch den Volkskundler bewegen – mit denen aber der Historiker nicht mehr viel anzufangen weiβ. Schlussendlich führen aber auch diese Erinnerungsfragmente unweigerlich in die Geschichtslosigkeit.

Zweitens: Aufwertung des Begriffs “Heimat”:
Hans-Josef Schad ist  ein Inspirator des Heimatgedankens. Er hat mit dazu beigetragen, dem viel geschmähten Begriff  “Heimat” in unserem Grenzland eine neue Gestalt und einen hellen Klang zu geben. Dies war nach der geistigen und materiellen Depression der Nachkriegszeit bitter nötig.
Zu diesem Thema hat Hans-Josef Schad vor 40 Jahren in “Zwischen Venn und Schneifel” ein bemerkenswertes Essay unter dem Titel “Was bedeuten uns Heimat und Heimatgeschichte?” geschrieben. Es ist ein Bekenntnis zur Heimat, ein Wort voller Wärme, das uns wie kein anderes vertraut klingt, das man, vielleicht deswegen, in keine andere Sprache übersetzen kann.
Jeder Mensch braucht nämlich ein bisschen Heimat. Der Mensch braucht die Geborgenheit der Heimat und folglich auch den Rückblick auf seine Vergangenheit, auf die geschichtliche Ausprägung seines Wesens in seinem heimatlichen Kreis. Dieses Wissen vermittelt die  Heimatkunde. In ihr offenbart sich nicht nur die Erforschung eines begrenzten Bereichs. Sie ist keineswegs das narzisstische Hinstarren auf den engen Daseinsraum. Sie führt, wie Hans-Josef Schad darlegt, zu einem besseren, abgerundeten Verständnis der allgemeinen Geschichte. Ja, der fruchtbarste Einstieg in die “groβe” Geschichte führt über die Heimatgeschichte, weil diese den Menschen in seinem vertrauten und überblickbaren Raum unmittelbar anspricht. Gerade in unserem geschichtsträchtigen Raum müssten die Lehrinhalte von dieser Maxime ausgehen. Als Pädagoge hat Hans-Josef Schad den Wert der Heimatgeschichte erkannt und den Weg gezeigt, wie die Vergangenheit lebendig vermittelt werden kann.
Natürlich offenbart sich hier auch eine “regionale Identität”; ein Begriff, der in unserer Zeit der “Globalisierung”, der Überstaatlichkeit und postnationaler Gedankengänge besonders attraktiv geworden ist. In der “regionalen Identität” schwingt ein gewaltiges Lebensgefühl mit, denn in ihr entdeckt der dafür empfängliche Mensch sein eigentliches “Ich”, vielleicht ein Stück jenes Paradieses, das er wohl einmal verloren haben soll. Vielleicht erreicht der Mensch auf der Suche nach der Heimat zumindest die Eingangspforte zu diesem verlorenen Paradies.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts steht der Mensch vor Umwälzungen, die sich in einem rasenden Tempo vollziehen. Er steht permanent vor gewaltigen technologischen, geistigen, religiösen, wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, die heute – im Gegensatz zu früheren Geistesperioden – eine schnelle, möglichst umfassende und verbindliche Antwort einfordern und deshalb das geistige Gleichgewicht des Menschen sogar mehrfach in seinem Leben arg strapazieren. Sie haben den viel zitierten “Verlust der Mitte” bewirkt, das heißt den Verlust einer lebensbestimmenden Bindung; das Verwässern, ja gar das Ausradieren verbindlicher Werte; den Bruch mit althergebrachten Traditionen, die Nivellierung bis zur Nichtigkeit von Verhaltensweisen und gesellschaftlichen Funktionen.
Ein solcher Bruch muss nicht unbedingt negativ oder destruktiv sein. Das Schlimme geschieht wohl dann, wenn nichts Gleichwertiges die Bruchstelle  füllt.  Diese ausgehöhlte Mitte kann unseres Erachtens -zumindest teilweise- durch die regionale Verbundenheit aufgefüllt werden. Das ist, aus unserer Sicht, der geistige Beitrag, den Hans-Josef Schad anbietet.

Drittens: die grenzüberschreitende Idee
Das dritte Element dieser Würdigung greift in den Alltag der Grenzlandsituation ein, die Hans-Josef Schad praktisch von seinem Gartenzaun aus in Auw beobachten kann. Das Ergebnis seiner Beobachtungen ist ein leidenschaftliches Plaidoyer für eine offene, emotionsfreie, grenzüberschreitende Zusammenarbeit.
In zahlreichen Beiträgen der 1970er-Jahre hat Schad das “Grenzgefühl” beschrieben, dann dasselbe im Jahre 2004 in einem geschichtlichen Vergleich der beiden Nachbarorte Auw und Manderfeld thematisiert und im vergangenen Jahr in einer Betrachtung über Grenzen und Grenzvolk, unter dem Titel: “Über 40 Jahre Leben an der deutsch-belgischen Grenze” aktualisiert.
Schad lehnt die Vorstellung vom “Unabdingbaren und Einschneidenden einer Grenze” ab – ein klischeehaftes Bild, das er als Binnendeutscher, der 100 Km von der Grenze landeinwärts geboren wurde, in seiner  Kindheit und frühen Schulzeit erfahren hat. Das Unabdingbare einer Grenze, so schrieb er bereits 1972, habe sich schon aus der groβen bunten Landkarte an der Wand des Klassenraums ergeben, wo die Staaten mit einer dicken roten Linie scharf von einander abgegrenzt worden seien. Jeder Staat habe auch noch eine eigene Farbe gehabt, die ihn von den Nachbarländern scharf abgestochen habe.
Doch später, am Gartenzaun von Auw, sah die Wirklichkeit anders aus: Diesseits wie jenseits der Our sprach man dieselbe Sprache, dieselbe Mundart, man pflegte das gleiche Brauchtum, man bebaute beiderseits der Grenze Äcker und Felder, die einst zusammengehörten und sich in einander verzahnten, und man hatte eine weitgehend gemeinsame Geschichte.
Dennoch hinterlieβ die Grenzziehung von 1920 tiefe Spuren: Eine andere Orientierung war entstanden, andere Vorbilder und Denkmodelle waren aufgebaut worden, andere Verhaltensweisen hatten sich entwickelt. Ein anderes Schulsystem, eine andere Administration, eine anders konzipierte Architektur, eine anders schmeckende Gastronomie bestimmen den Alltag. Selbst die gemeinsame hochdeutsche Sprache hat eine andere Klangfarbe erhalten. Diese Grenze ist nicht materiell, sie ist landschaftlich nicht greifbar: Sie ist in die Köpfe der Eifelmenschen hineingepflanzt worden.
Indessen kann die “Gesinnungsgrenze” nicht mehr abgebaut werden, trotz der Geldströme Europas für grenzübergreifende interregionale Initiativen, die, wie ein nicht leer werdendes Füllhorn, gerne in Anspruch genommen werden und natürlich auch in Anspruch genommen werden sollen. Wohl können und sollen die Grenznachbarn enger zu einander rücken und sich einander anschmiegen, wie ein altes Paar, das sich nach Jahren der Entfremdung wiederfindet.
In diesem Sinne plädierte Schad für eine Arbeitsgemeinschaft St.Vith-Prüm. In diesem Sinne propagierte er den Slogan “Grenzen auf”. “Diesem Grenzland”, so schrieb er 1971, “falle beim  Abbau der Grenzen eine ganz wichtige Rolle zu, die auch für andere Regionen Europas von Bedeutung sein kann…Dieses Gebiet zwischen Venn und Schneifel soll den Charakter des Landes der Mitte und der Vermittlung weiter ausbauen. Es wird dann über sich selbst hinauswachsen und dem gröβeren Ganzen dienen. Dann ist unsere Heimatverbundenheit und Heimatliebe nicht nur Selbstzweck, sondern dann wird ihr das rechte Verhältnis zu dem gröβeren Rahmen zugewiesen”. Zitat von Hans-Josef Schad aus dem Jahre 1969.
Er schrieb dies in einer Zeit, wo Grenzüberschreitung, vor allem Begegnungen alter Nachbarn über die Grenze hinweg noch keine Selbstverständlichkeit waren. Es war eine aufmunternde Stimme, wenn man bedenkt, dass die Zeit noch nicht so weit zurücklag, dass die Grenze, auβer wenigen weit voneinander liegenden Übergängen und einigen Schlupflöchern, die nur Schmugglern bekannt waren, praktisch dicht gemacht worden war; dass die Zeit noch in lebhafter Erinnerung war, als ein deutscher Generalkonsul in Belgien beim Auswärtigen Amt in Bonn die Erlaubnis einholen musste, um einem hiesigen Gesangverein anlässlich eines Festjubiläums eine Beethovenbüste zu schenken. Dieses hyper-vorsichtige Vorgehen der deutschen Behörden entsprach der Reaktion des verbrannten Kindes, welches das Feuer scheut. Es war die bewusst betriebene Ignorierung deutscher Kultur im Ausland aufgrund der semantischen Aufladung einschlägiger Volkstumsbegriffe durch den Nationalsozialismus.
Hans-Josef Schad hat damals selbst die bescheidensten grenzüberschreitenden Initiativen lebhaft begrüsst, die sich zum Beispiel in schüchternen Kontakten bemerkbar machten, die zwischen Vereinen beiderseits der Grenze geknüpft wurden; Initiativen, die später durch gemeinsame Veranstaltungen gekrönt wurden und auch in der Presse ihren Widerhall fanden. Hans-Josef Schad schrieb darüber; auch über das Medium, das keine Grenzen kennt, über den “Belgischen Rundfunk”, der in den 1960er- Jahren in den deutschen Schneifeldörfern so intensiv gehört wurde, dass der Sender hier liebevoll und ohne jeden Spott in “Radio Weckerath” umgetauft wurde.
In der grenzübergreifenden Annäherung erhielt auch der Geschichtsverein “Zwischen Venn und Schneifel” einen besonderen Platz. Dazu schrieb Hans-Josef Schad 2004 in dem bereits zitierten Aufsatz: “Gerade die bewusste Festlegung auf die grenzüberschreitende Landschaftseinheit von Venn und Schneifel bewog uns (ihn und seine Gattin) seit 1967 Beiträge in ‘ZVS’ zu veröffentlichen”.
Hier erhält der europäische Gedanke einen bodenständigen Anker. Hier wird die Heimatkunde zur direkten Brücke der gegenseitigen Verständigung – und innerhalb eines kleinen Raums zu einer Quelle der Solidarität und Toleranz.
Denn wo könnten wir die Toleranz am wirksamsten ausüben? Doch wohl in dem Bereich, wo wir zu Hause sind, in der uns vertrauten Sphäre, die wir Heimat nennen, die wir lieben, deren zuweilen schmerzhafte Geschichte uns einander näher bringt, und deren Gefüge und Beschaffenheit uns überblickbar erscheinen. Sind das nicht alles Voraussetzungen, die ein gegenseitiges Verständnis und ein “Sichbegreifen” erleichtern, und die uns schlieβlich vor jedem extremen Blendwerk schützen?

Meine Damen und Herren!
Als man an mich herantrat, diese Laudatio zu halten, habe ich sehr gerne zugesagt. Aus zwei Gründen:
Zunächst weil diese Würdigung mir auch die Gelegenheit gibt, mal einiges zu sagen –das auszusprechen, das uns beide, Sie Hans-Josef Schad und mich, in dieser herrlichen, leider auch geschundenen Grenzlandschaft seit Jahren,  ja  Jahrzehnten treibt, immer wieder antreibt und bewegt.
Und zweitens, weil diese Feierstunde die alte Verbundenheit zwischen Ihnen, dem Geschichtsverein und mir bekräftigt, eine Verbindung, die sich bereits über vier Jahrzehnte lang zurückverfolgen lässt, wie mir heute noch die Durchsicht meines Briefarchivs gezeigt hat. Das wird auch so bleiben, solange wir auf diesem Globus noch herumwandeln dürfen.

Werte Frau Schad, lieber Herr Schad!
Betrachten Sie diese Würdigung als eine “heimatkundliche Seligsprechung”. Sie ist die Anerkennung für Ihre erfolgreiche Arbeit, wofür wir Ihnen dankbar sind.

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